
Die Radgruppen des Kinderdörfels auf Tour
Liebe Eltern,
im Februar 1993 wurde das Kinderdörfel in Betrieb genommen. Während dieser Zeit haben wir viele neue Erfahrungen machen können, ja und auch machen müssen. Vor dem Hintergrund dieser Praxiserfahrungen haben wir eine pädagogische Konzeption entwickelt, die der Arbeit in diesem Hause den Eltern und Mitarbeiterinnen als Richtschnur dienen soll. Wobei wir heute schon deutlich machen wollen, dass auch in Zukunft neue Erfahrungen in der Kinderbetreuungsarbeit ebenso wie Veränderungen in der Gesellschaft diese Konzeption ergänzen oder verändern können müssen.
Mit der im Jahre 1919 erfolgten Gründung der Arbeiterwohlfahrt im damaligen Deutschen Reich nahmen die Initiatorin, die Reichstagsabgeordnete Marie Juchaz und eine Anzahl Sozialdemokraten die tiefen Einschnitte in der Gesellschaft nach dem ersten Weltkrieg zum Anlass, die Not der besonders von diesen Einschnitten betroffenen Gesellschaftsschichten zu mildern und gleichzeitig politisch dafür zu arbeiten, dass die benachteiligten Gruppen der Gesellschaft nicht mit Almosen abgespeist, sondern mit besseren Rechten abgesichert wurden. In dieser Tradition der Wahrnehmung von Veränderungen in der Gesellschaft und der Verpflichtung den Menschen gegenüber, die sich alleine nicht gegen die Verschlechterung ihrer Situation wehren können, steht die Arbeiterwohlfahrt auch heute, und der Viernheimer Ortsverein bildet da keine Ausnahme.
Als die Arbeiterwohlfahrt in Viernheim 1971 die erste Trägerschaft für eine Kindertagesstätte in Viernheim übernahm – im Haus Pirmasenser Straße, geschah dies entsprechend der bis dahin vorherrschenden Form des Kindergartens. Das heißt, da waren vier Gruppen mit je fünfundzwanzig Kindern und jeweils einer Erzieherin als Gruppenleiterin. Alles, was für die Kinder erlebbar war, geschah innerhalb der vier Wände dieser Gruppe. Der besondere "Luxus" bestand in der Gruppenfreistellung der Leiterin. Auch damals gab es schon die Ganztagsbetreuung in unserem Haus.
In der Zwischenzeit haben sich die Bedingungen in den Familien verändert. Denken wir nur an die Zahl der Einzelkinder, die zunehmende Einschränkung der natürlichen Freiräume für Kinder, ebenso an die Berufstätigkeit vieler Frauen, die zu geänderten Erziehungsmodellen geführt haben. Eine dieser Situation gerecht werdende Einrichtung zur Kinderbetreuung gab es in unserer Stadt nicht, bis im Februar 1993 das Kinderdörfel seine Tore öffnete.
Lange bevor in der Bundesrepublik von Seiten der Bundesregierung die Forderung nach Schaffung von Krippenplätzen losgetreten wurde, gab es in Viernheim in den Reihen der damaligen Mehrheitsfraktion, den Sozialdemokraten, eine Gruppe von Frauen, die darauf drängten, in Viernheim ein Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren zu schaffen. Darüber wurde etwa ein halbes Jahr lebhaft gestritten. Die Erfahrungen anlässlich eines Besuchs der Gruppe in der bereits bestehenden Krippe auf der Vogelstang entsprachen nicht den pädagogischen Vorstellungen der Gruppe. Eines Tages legte die damals Jüngste in der Fraktion, Christine Lambrecht, den Kolleginnen und Kollegen einen Bericht über das Konzept "Kinderburg" in Hanau auf den Tisch. Dort wurden Kinder von 0 bis 12 Jahren gemeinsam in altersübergreifenden Gruppen betreut. Eine Arbeitsgruppe fuhr nach Hanau, um sich die Kinderburg anzusehen und mit den Erzieherinnen über die Erfahrungen zu sprechen, welche die Hanauer mit dieser sehr fortschrittlichen Konzeption gemacht hatten.
Der Eindruck war so überzeugend, dass die Fraktion den damaligen Bürgermeister, Norbert Hofmann, bedrängte, etwas Derartiges auch in Viernheim zu schaffen. Nach Vorgesprächen mit den verschiedenen Trägern von Kindergärten in Viernheim erklärte sich die AWO, welche zu dem damaligen Zeitpunkt bereits Träger von drei großen Kindertagesstätten war, bereit, nicht nur die Trägerschaft über die Einrichtung zu übernehmen, sondern auch selbst als Bauherr tätig zu werden. Dies war notwendig, weil die hessische Landesregierung 1990 nur Maßnahmen frei gemeinnütziger Träger mitzufinanzieren bereit war.
So war es nun an uns, zum pädagogischen auch ein bauliches Konzept für eine solche Einrichtung zu entwickeln. Wir haben damals mit einer Arbeitsgruppe interessierter Erzieherinnen aus den bereits bei uns bestehenden Kindertagesstätten in zahlreichen Besprechungen die Notwendigkeiten und die Chancen diskutiert und damit auch großen Einfluss auf die Planung und Ausführung des Hauses genommen. Am Rande sei vermerkt, dass es keineswegs einfach war, das Finanzministerium in Wiesbaden zu überzeugen, dass ein solcher Bau die Aufgabe, für die er gedacht war, auch erfüllen würde. Es wird sicher niemanden verwundern, dass bei diesen Gesprächen nicht alle Wünsche erfüllt werden konnten. Aber die Erfahrungen bis heute zeigen, dass das Wesentliche erreicht worden ist.
Der Arbeitstitel der Architekten "Kinderdörfel" wurde in konkrete Pläne umgesetzt und – ohne dass die Architekten das gefordert hätten – wie selbstverständlich auch als der passende Name für diese Einrichtung übernommen.
Wir, die Arbeiterwohlfahrt, wollen uns als Träger dieser fortschrittlichen Einrichtung bemühen, für Ihre Kinder gute Voraussetzungen für den Start ins Leben zu schaffen.
Übrigens, bei der Arbeiterwohlfahrt kann man auch Mitglied werden, es kostet gar nicht viel, und so können Sie über die Mitarbeit in dieser Organisation Einfluss auf das Geschehen in vielen sozialen Feldern, zum Beispiel auch im Kinderdörfel, nehmen.
Viernheim, im Juni 2007
Frithjof Besser – für den Vorstand der Arbeiterwohlfahrt in Viernheim
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